Die unfaire Erwartungshaltung an die Cloud
0Weg mit dem Versprechen der eierlegenden Wollmilchsau
Es ist ein zum Beispiel vom Sport bekanntes Phänomen: Junge Talente werden in den Himmel gelobt – und scheitern an diesen Ansprüchen von außen. Bisweilen drängt sich dieser Eindruck auch bei der Cloud auf. Falsch eingesetzt, ist sie nichts weiter als ein Kostentreiber. Einige Fallstricke beschreibt dieser Text.
Die Cloud ist ein großer Werkzeugkasten – besonders, seit die großen Hyperscaler wie Amazon mit AWS oder Microsoft mit Azure und so weiter sich zu Vollsortimentern entwickelt haben. Spontan benötigte Services können jederzeit hinzugebucht werden, um etwa Lastspitzen abzufangen oder zusätzliche Services für Entwicklungen zu buchen. Und natürlich ist es ebenso einfach möglich, aus der großen Auswahl weiterer, kleinerer Anbieter die Wunschanwendung herauszupicken.
Aus dieser Bandbreite kommend hat sich in letzter Zeit immer stärker der Begriff des Multi-Cloud-Ansatzes etabliert. Die Idee ist gut: Den jeweils – in Bezug auf Leistung, Kosten etc. – geeignetsten Service aus der entsprechenden Plattform wählen und so eine maßgeschneiderte Infrastruktur zusammenstellen. Nur: Die Komplexität nimmt dadurch entsprechend zu. Insofern müssen Unternehmen stets ein überaus wachsames Auge darauf haben, dass Kosten nicht ausufern.
Denn dafür kann es in solchen Konzepten mehrere Gründe geben: Einerseits ist die Kündigung eines Service, wenn dieser nicht mehr benötigt wird, schnell vergessen; andererseits sind viele kleine Kostenblöcke am Ende bisweilen doch größer, als eingeplant oder budgetiert; schließlich gibt es Lösungen, die genau jene Komplexität reduzieren sollen – die jedoch wieder Geld kosten, und zwar sowohl in Anschaffung als auch beim Betrieb.
Die steinige Reise in der Cloud?
Beim Blick zurück auf die rosa Cloud-Brille war vielleicht manches Versprechen von manchem Experten etwas zu naiv gegeben; natürlich haben sich die Vorteile der Cloud aber grundsätzlich bewahrheitet. Nur der – in Euro, Mannstunden oder Schweiß – zu zahlende Preis war womöglich zu wenig Bestandteil der Diskussion. Cloud-Umgebungen sind nun mal keine Selbstläufer. Es reicht absolut nicht aus, einmal ein Konzept zu erstellen und umzusetzen. Vielmehr ist es ein beständiges Anpassen und Feinjustieren.
Die genannten Herausforderungen sprechen wie gesagt nicht gegen die Cloud, im Gegenteil. Wer das „Rightsizing“ richtig betreibt, wird im Unternehmen viele Vorteile erzielen. Jedoch muss zu Beginn von Cloud-Projekten und währenddessen immer wieder abgewogen werden, ob die Rechnung aufgeht. Es gibt kein Patentrezept, und nicht jedes Unternehmen kann jedes Konzept sinnvoll umsetzen. Dafür ist die Zahl der Parameter zu groß.
Insofern ist es vor allem für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mehr als eine Überlegung wert, welche Cloud-Elemente sie wirklich nutzen wollen – es ist für sie erste Bürgerpflicht. Dabei gilt es sowohl die Frage der verfügbaren Ressourcen im Administrator-Umfeld zu beachten als auch die der vorhandenen Expertise. Gerade, wenn die IT-Abteilung aus nur einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin besteht beziehungsweise das Team sehr klein und eher generalistisch aufgestellt ist, besteht die Gefahr einer Überforderung.
Risiken kalkulieren
Denn die Verlockung der schnellen einfachen Services kann letztlich sogar existenzbedrohend werden, wenn es an Management und Betrieb geht, nämlich beim Thema IT-Sicherheit. Somit sind auf der Kostenseite eben ergänzend zu planbaren Ausgaben wie der Miete und Verwaltung auch noch abstrakte Szenarien einzukalkulieren. Um diese abzufedern, kann unter Umständen nochmals zusätzliche Software erforderlich sein.
Auch ist die Einhaltung gesetzliche Vorgaben und Normen eine umso größere Herausforderung, je komplexer die Infrastruktur gestaltet ist. Allein die Einhaltung der Mindeststandards rund um die DSGVO kann hier schon erhebliche personelle Ressourcen binden. Geht es in erweiterte, branchenspezifische Themen wie etwa eine im Automotive-Umfeld verstärkt geforderte TISAX-Zertifizierung, kann die Verwendung von Cloud-Services nochmals erheblichen Zusatzaufwand bedeuten.
Eine weitere, nicht zu unterschätzende Gefahr stellt weiterhin das bekannte Problem der Schatten-IT dar. Gerade weil das Hinzubuchen von Services so einfach ist, können Fachabteilungen ihre IT-Truppe leicht aushebeln. Die Folgen können – Stichwort Absicherung – fatal sein. Denn mag der Service für die Ausführung eines Auftrags oder Projekts auch erforderlich sein, so kann dessen unkoordinierte Nutzung dem Unternehmen letztlich einen Bärendienst erweisen, wenn Security-Aspekte nicht beachtet werden.
Und die Lösung?
An dieser Stelle seien nochmals explizit KMU gewarnt. Für sie kann es fatal werden, wenn Cloud-Projekte nicht richtig aufgesetzt werden – was in der Regel bedeutet, dass sie zu groß oder nicht strukturiert genug angegangen werden. Und das ist im Grunde auch die Lösung: Mag der Geschwindigkeitsdruck oft auch hoch sein, ein solides Konzept ist das A und O. Und hilft letztlich weiter, als hinterher Scherben aufzukehren.
Die ersten Fragen sollten daher lauten: Wer muss alles ins Boot geholt werden, und was ist genau das Ziel eines Cloud-Projekts? Fachabteilungen mögen ihren Bedarf genau kennen, sind jedoch häufig nicht hinreichend informiert, wenn es um administrative und regulatorische Themen geht. Erst wenn das Ziel mit diesen Beteiligten definiert wurde, können sie auch einen möglichen Weg planen. Dabei muss von Anfang an klar sein, dass personelle Ressourcen zum Nachjustieren eingeplant werden müssen.
Eine eigene On-Premise-Infrastruktur kann ebenfalls viele Services und Innovationen unterstützen, wenn sie richtig aufgesetzt und solide finanziert ist. Erweist sich das Hinzunehmen von Cloud-Services als sinnvoll und langfristig gewinnbringend, sind häufig Angebote mit einfacher Administrierbarkeit und intuitivem Web-Interface „aus einer Hand“ einem Multi-Cloud-Ansatz vorzuziehen. Sind passende Automatisierungen und APIs vorhanden, steigt der Reiz eines solchen Ansatzes weiter. Denn mögen die Services so bisweilen auch nicht jeweils „Best-of-Breed“ sein, so sind sie in aller Regel doch mehr als ausreichend. Erinnerung: Vom Ziel her denken.
Fazit
Bei Betrachtung all dieser Aspekte ist es für KMU häufig eher ratsam, nach dem Motto „so viel Cloud und so viele Anbieter wie nötig“ und entsprechend mit Bedacht vorzugehen. Der Vergleich mit dem Sport lässt sich dauerhaft auf die Cloud übertragen: Richtig integriert, vernünftig über die Zeit aufgebaut und mit Weitsicht gemanagt, steht dem Erfolg grundsätzlich nichts im Wege. Richtig angepackt kann aus einem Talent ein Weltstar werden, aus einem Cloud-Service die Basis für eine langfristiges Geschäftsmodell.